„Haben Sie mal Zeit für mich?“

„Haben Sie mal Zeit für mich?“

Ein flüchtiger Moment, ein intensives Gespräch, eine längere Begleitung – Seelsorge im Stadtteil und der Kirchengemeinde

„Frau Pfarrerin, kann ich Sie sprechen?!“ Die Stimme der Frau am Telefon klingt angespannt: „Haben Sie mal Zeit für mich?“ Keine ungewöhnliche Bitte und ich nehme mir Zeit, so wie immer: Wir verabreden einen Termin, treffen uns in meinem Büro.

Mir ist die Frau nicht bekannt, meine Telefonnummer hat sie im Gemeindebrief gefunden. Wir kommen schnell ins Gespräch: Sie ist krank und hat Angst vor dem Sterben. Sie hat Anteil an einem Konflikt, der ihre Familie belastet und es tut ihr gut, diese Dinge vor sich selbst zuzugeben und auszusprechen.

Gemeinsam überlegen wir, wie sie auf ihre Familie zugehen könnte, welche Schritte möglich sein könnten. Ihre Schuld und auch die Schuld der anderen übergeben wir Gott – im Gebet. Erleichtert geht sie nach Hause.

Noch weitere Male treffen wir uns, zu zweit und dann auch mit ihren Kindern. Die Schuld ist nicht einfach weggewischt. Aber sie belastet das Verhältnis nicht mehr wie vorher. Die Verbundenheit tritt wieder in den Vordergrund und prägt ihre letzten Lebensmonate. Als die Frau Monate später im Sterben liegt, können wir im Kreise ihrer Familie miteinander Abendmahl feiern und in Frieden voneinander Abschied nehmen.

Seelsorge geschieht dann, wenn wir Menschen im Alltag oder in besonderen Lebenslagen etwas von Gottes Liebe und Annahme vermitteln können. Sie eröffnet Perspektiven der Beziehung, der Klärung, der Problemlösung oder des Trostes. Das kann ein flüchtiger Moment der Zuwendung sein, ein intensives Gespräch oder eine intensive Begleitung, wie bei dieser Frau.

Im Alltag spielen auch kurze Begegnungen eine große Rolle: typisch ist, dass mich eine Konfirmandin nach dem Unterricht anspricht und ein offenes Ohr braucht. Oder dass ich auf der Straße mit dem Mann ins Gespräch komme, dessen Hund gestorben ist, der traurig ist und der mehr als nur Struktur im Alltag verloren hat.

Seelsorge liegt vielen Menschen in unserer Kirche am Herzen, sie ist eine Haltung, die von der ganzen Gemeinde wahrgenommen wird, in unterschiedlicher Intensität und Qualität. Bei uns im Pestalozzihaus öffnen wir jeden dritten Sonntag im Monat ein Trauercafé, das Café Matthäi. Pfarrerin und ehrenamtliche Trauerbegleiterinnen bereiten es vor und stehen für Gespräche zur Verfügung. Jeder Trauernde darf erleben: Hier darf ich einfach sein, so wie ich bin, reden, schweigen, unter Menschen, denen die unterschiedliche Gefühle der Trauer nicht fremd sind.

Als Kirchengemeinde bilden wir ein Beziehungsnetz, das von vielen Menschen getragen wird und über unser eigenes Leben hinausweist. So gehören auch ermutigende Predigten dazu und heilsame Gottesdienste. Der gemeinsam erlebte Rhythmus des Jahres von Aktion und Muße tut uns gut. Offene Gruppen und Kreise, die Menschen aufnehmen und willkommen heißen, das sind unsere hilfreichen Strukturen.